Jänner 2010 www.initiative.cc

Widerstand gegen den "Hühner-Highway"
Über die Machenschaften der Geflügelkonzerne

Wer heute Fleisch im Supermarkt kauft, muss davon ausgehen, dass dieses aus Massentierhaltung stammt. Auch wenn die Werbung dem Konsumenten die Bauernhofidylle verkaufen will, sieht die Wahrheit anders aus. Von Industrie und EU wird die industrialisierung der Landwirtschaft gefördert bzw. erzwungen. Nicht umsonst sterben in Österreich tagtäglich 9 Bauernhöfe. Damit hat sich die Zahl der Landwirte in Österreich seit dem EU-Beitritt von damals 80.000 auf nur noch 38.000 mehr als halbiert.

Der unten stehende Artikel über Geflügelkonzerne stammt aus der Zeitschrift des ÖBV-ViaCampesina / Österreichische Bergbauern- und Bäuerinnen Vereinigung - www.viacampesina.at . Vielen Dank für die freundliche Bereitstellung

Geflügelkonzerne


In Wietze, einem kleinen Ort in Ostniedersachsen plant einer der größten deutschen Geflügelkonzerne, Europas größten Hähnchenschlachtbetrieb zu errichten. Pro Stunde sollen dort 27.000, pro Woche 2.592.000 Tiere geschlachtet werden. Für den Nachschub an Hendln braucht der Rothkötter-Konzern mehr als 400 Mastställe á 40.000 Hühner, die entlang der Autobahn A7 (die so zum "Hendl-Highway" wird) errichtet werden sollen. Doch der Widerstand gegen dieses agrarindustrielle Mega-Projekt ist groß.
Die Masthühnerproduktion wird in den meisten europäischen Ländern von sogenannten "Integratoren" dominiert. Diese "Integratoren" betreiben Kraftfutterwerke, Brütereien und Schlachtereien. Sie haben (meist einjährige) Verträge mit völlig abhängigen Mastbetrieben. Die Vertragsmäster bekommen von den Geflügelkonzernen Tiere und Futter zugeteilt und müssen zu festgesetzten Preisen auch die Schlachttiere zum vorgegebenen Termin abliefern. Sie tragen das Produktions- und Investitionsrisiko, ein 40.000-Masthühner-Stall kostet eine halbe Million Euro. Selbst bei einem Gewinn von 5 Cent pro Hendl und 7 Stall-"Durchgängen" pro Jahr bleibt dem Mäster lediglich ein Einkommen von 14.000 Euro. Einem ersten Hähnchenstall folgen oft weitere Ställe nach.
Mit mehr als 32 Millionen Hähnchenmastplätzen ist die Weser-Ems-Region an der holländischen Grenze das Zentrum der deutschen Masthühnerindustrie. Doch AnrainerInnen und Gemeinden haben die Nase voll von Gestank und Stäuben, sie protestieren gegen die tierquälerische Haltung der einseitig gezüchteten Tiere auf ihrem eigenen Kot, gegen die erhöhte Seuchengefahr in Intensivregionen (mit Stallpflicht für alle GeflügelhalterInnen der Region!) und gegen die Verdrängung bäuerlicher Geflügelhaltung. Die Geflügelindustrie hat zwar 10 Millionen neue Mastplätze beantragt, sucht wegen des anhaltenden Widerstands aber nun auch nach neuen Standorten, vom deutschen Bauernverband unterstützt. Der Mega-Schlachthof von Rothkötter in Ostniedersachsen ist nur ein Beispiel für diese "Expansion in östliche Ausweichregionen".

Die "Hähnchen-Blase"

Auf Rothkötters Versuch der Eroberung zusätzlicher Marktanteile reagiert seine Konkurrenz derzeit mit einer eigenen Anwerbe-Welle für ihre vergrößerten Schlachthöfe. Zudem werden riesige Mastbetriebe mit Kapazitäten von 400.000 Masthendln (alle 44 Tage!) in Ostdeutschland geplant. Insgesamt sollen für 2011 in ganz Deutschland mehr als 600 neue Ställe geplant bzw. beantragt sein. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) bezeichnet diese "dramatisch anwachsende Überkapazitäten von Schlachtereien und Stallanlagen in der Hähnchenbranche" als "Hähnchen-Blase". Den zusätzlichen Überschuss- und Preisdruck und den bevorstehenden Zusammenbruch des Masthendlmarktes würden die Schlachtkonzerne auf die von ihnen total abhängigen Vertragsmäster abwälzen.
Der Bauernverband und die Landwirtschaftskammer unterstützen die Expansionslust der Geflügelindustrie jedoch. Kein Wunder, sind hohe FunktionärInnen doch selbst in der Puten- oder Hühnerindustrie zu Hause. Der Ehemann von Niedersachsens Agrarministerin Grötelüschen hat zum Beispiel einen großen Putenmastbetrieb. Förderer der Pläne ist auch Bauernverbands-Vize und Putenmäster Hilse, der kürzlich als Festredner beim Rothkötter-Jubiläum "gute Aussichten" versprach. In Ostniedersachsen hält die Landwirtschaftskammer folgerichtig "Informationsveranstaltungen" ab, bei denen man den LandwirtInnen mit Hinweis auf die schlechten Preise bei Milch oder Getreide ein Zusatzeinkommen aus der Hähnchenmast verspricht - angesichts des drohenden Marktkollapses wahrlich ein Hohn.

Fiktiver Wald

In Wietze und Umgebung formiert sich seit Bekanntwerden der Pläne Widerstand. 25 Bürgerinitiativen versuchen, den Schlachthof und die Mastställe zu verhindern. Die von den Versprechungen des Rothkötterkonzerns (Arbeitsplätze!) eingelullten Lokal-und RegionalpolitikerInnen ignorieren die berechtigten Sorgen der BürgerInnen aber. In Wietze wurde ein Bürgerbegehren mit fadenscheinigen Gründen abgelehnt, Besetzungen des Bauplatzes wurden polizeilich geräumt, die VertreterInnen der Bürgerinitiativen werden verhöhnt, die Demokratie mit Füßen getreten. Die skandalösen Haltungsbedingungen in der Masttierhaltung, der prognostizierte Frischwasserverbrauch des Schlachthofes von 1,2 Mrd. Litern pro Jahr, die wöchentlich etwa 1000 LKW-Fahrten, die Ammoniak-Dämpfe, die Gesundheitsgefährdung durch die Keimbelastung, der Verlust an Lebensqualität und Attraktivität der Region - all das kümmert die Verantwortlichen nicht. Im Gegenteil, die Errichtung des Schlachthofes wird massiv subventioniert, und selbstverständlich muss der Konzern "in den ersten Jahren nach der 50-Millionen-Investition keine Gewerbesteuer zahlen". Gemeinde und Kreis zahlen für die öffentliche Erschließung des Grundstückes, die Verlegung vorhandener Nutzungen, die Bereitstellung von Wasser, die Erweiterung der Kläranlage und den Ausbau der Straßen. Die Amortisierung der Millionen-Vorleistungen erwarte man durch zusätzliche Arbeitsplätze und Einkommensteuern. Dem Fass den Boden schlägt ein Erlass der niedersächsischen Landesregierung aus. Um Wald in der Nähe der geplanten Ställe nicht als Bauhemmnis in Betracht ziehen zu müssen, wurde er kurzerhand zum "fiktiven Wald" erklärt. Mit anderen Worten: Da man ja eventuell berechtigt sein könnte, den Wald zu roden, müsse man ihn bei der Genehmigung auch gar nicht berücksichtigen.

Schlachthof ohne Lieferanten

Die Anstrengungen der BürgerInneninitativen aber auch die unsicheren Aussichten am Hähnchenmarkt lassen potentielle Vertragsmäster zögern. Der Rothkötter-Konzern hat laut Zeitungsmeldungen die für die erste Ausbaustufe benötigten 120 Vertragsmäster im Umkreis von Wietze nicht anwerben können. Angeblich solle Rothkötter nur noch mit 50 Landwirten recht vage "im Gespräch" sein, so dass die Kapazitäten in Wietze dann allenfalls durch "Hähnchen-Importe" aus dem Emsland oder durch Stallbauten emsländischer Investoren in Ost- und Südniedersachsen auszulasten wären. "Dann aber", so AbL-Sprecher Eckehard Niemann, "wird Rothkötter auf einen noch weitaus verschärfteren Widerstand von Bauern und Bürgerinitiativen stoßen!"

Der Widerstand wächst - ohne Florianiprinzip!

Die mittlerweile mehr als 1000 Mitglieder starke Bürgerinitiative in Wietze will jetzt auf Baustopp klagen - u. a. wegen Verfahrensfehlern und ungeklärter Wasserversorgung. Unter dem Motto "Kein Schlachthof - keine Mastställe - nicht in Wietze und nirgendwo" halten die Mitglieder sei August jeden Montag eine Mahnwache ab. Denn es geht nicht nur darum, den Schlachthof in Wietze zu verhindern. Gemeinsam mit zahlreichen Initiativen und Organisationen kämpfen die Menschen aus Wietze im bundesweiten Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken für eine flächendeckende artgerechte Nutztierhaltung in bäuerlicher Hand in lebendigen ländlichen Regionen.

Und bei uns

In Österreich haben wir zwar keine Hühnerindustrie nach deutschem Maßstab - wer jedoch glaubt, das österreichische Grillhendl führte ein glückliches Bauernhofleben, ist leider ziemlich naiv. Marktführer im Geflügelsektor (auch bei Biohühnern!) ist Hermine Wechs "Kärntner Bauernhofgeflügel" mit 270 Vertragsmästern und einer Jahresproduktion von ca. 45.000 Tonnen an Huhn- und Truthahnprodukten, einem Verarbeitungsbetrieb in Ungarn und "Getreidebau auf eigenen Feldern in Rumänien als Krisenvorsorgen". Auch der Wech-Konzern ist ein "Integrator", der vom Ei über das Futter bis zur Vermarktung alles unter Kontrolle hat. Und wer von Bauerngeflügel träumt, möge sich die Mastbetriebe auf der Kärntner Sau- und Koralm, halb versteckt im Wald, mal von der Nähe ansehen…

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