von
Justine McCabe
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von Justine
McCabe - ZNet 31.05.2005
Im US-Bundesstaat Connecticut hat die Kontroverse um die Rechte der Indianer
mittlerweile einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Regierung revidierte
die Anerkennung der Stämme der Eastern Pequots (in Stonington) und
der Schaghticoke (in Kent). Sowohl die Bevölkerung als auch viele Offizielle
scheinen darüber im allgemeinen erbaut. Wie Staatsanwalt Richard Blumenthal
in The Litchfield County Times sagt: "Ein Grund, weshalb dies so historisch
ist, liegt darin, dass es bislang keinen Fall gab, in dem eine positive
Anerkennungsentscheidung wieder revidiert wurde. (Es war) landesweit das
erstemal. Umso bedeutsamer und befriedigender ist es".
Für die indigenen Völker Connecticuts ist die Entscheidung natürlich alles andere als befriedigend. Mehrere Jahrhunderte nach ihrem ersten Kontakt mit den europäischen Siedlern steht ihr Recht auf das Land und ihre Liebe zu diesem Land immer noch nicht außer Frage.
Die Argumente, die im Verlauf der Kontroverse gebraucht wurden, spiegeln die Ironie des Kampfes der amerikanischen Urbevölkerung um Anerkennung auf eindrucksvolle Weise: Sie müssen beweisen, dass es sie überhaupt gibt, sie müssen beweisen, dass ihre Kultur und ihre Menschen die Versuche von US-Regierungen, sie auszulöschen und das Land, von dem ihr Überleben abhing zu konfiszieren, überlebt haben.
Das ursprüngliche Unrecht ist mittlerweile eingebettet in ein bürokratisches System zur Leugnung dieses Urunrechts: Selbst ein Antrag auf BIA*-Anerkennung kostet Millionen - was viele Stämme dazu verleitet, sich mit Casino-Investoren einzulassen, obwohl diese die traditionellen (indianischen) Werte verraten. Wo Indianer in den - unleugbar suspekten - Prozess einbezogen sind (oder gar Erfolg haben), ruft das bei meinen nichtindianischen Nachbarn hier in Kent Feindseligkeit und Verunsicherung hervor. Sobald von der Urenteignung und Traumatisierung der Indianer durch den Kontakt mit den Europäern die Rede ist - eine Erfahrung die noch nicht zu Ende ist -, weichen die Leute aus. Eine Entschuldigung oder gar das Bekenntnis zur kollektiven Verantwortung: Fehlanzeige.
Die meisten Amerikaner befinden sich in einer Art kollektiver Verleugnungshaltung, wenn es um ihre schandbare Vergangenheit geht. Von diesem Erbe geht weiterhin Gefahr aus - nicht nur innenpolitisch sondern auch in Hinblick auf unsere Außenpolitik.
Zur selben Zeit, als Staatsanwalt Blumenthal rechtliche Mittel gegen die Anerkennung der Schaghticoke-Indianer einlegte, besuchte der damalige palästinensische Präsidentschaftskandidat Mahmoud Abbas einige der Flüchtlingslager im Libanon, in denen 400 000 Palästinenser leben. Er versicherte den Palästinensern, ihr Recht auf Rückkehr in ihre Heimat im heutigen Israel werde auch bei künftigen Verhandlungen nicht preisgegeben.
Weltweit gibt es mehr als 6 Millionen palästinensische Flüchtlinge, die seit 1947/1949, seit der Zeit der Naqba ("Katastrophe") also, der Rückkehr in die Heimat harren. Die meisten leben weniger als 60 Meilen von ihren Heimatorten entfernt - einige so nah, dass sie die einstigen Obstgärten und Felder in Sichtweite beweinen können.
Kolonialisierung
auch noch heute
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Es geht ihnen wie den Ureinwohnern Amerikas. Die Bürde der Beweisführung liegt bei ihnen, wenn es darum geht, ob sie überhaupt existieren bzw. ein Anrecht auf das Land ihrer Vorfahren haben.
Dass sie immer noch ihre alten Hausschlüssel und Urkunden besitzen und von der UN offiziell als Flüchtlinge registriert wurden, reicht nicht aus. Auch das internationale Recht versagt. Unter Berufung auf mehrere Gesetze hatten die Vereinten Nationen den Beitritt Israels zur UN (1949) explizit davon abhängig gemacht, dass Israel UN-Resolution 194 umsetzt. Darin heißt es: Die Palästinenser haben das unveräußerliche Recht auf Rückkehr. Dennoch verweigert Israel seinen nativen Völkern die Rückkehr in ihre Heimat, und seit Präsident Truman unterstützen die USA diese israelische Haltung implizit.
Die Enteignung der Indianer dauert natürlich schon länger als die der Palästinenser. Doch die israelische und die amerikanische Nation sind auf sehr ähnliche Weise entstanden - auch die Leugnung trägt ähnliche Züge: Beides wichtige Komponenten der so betonten "Sonderbeziehung" zwischen beiden Ländern. Diese Leugnungshaltung ist das letzte Mosaiksteinchen, um zu erklären, weshalb die amerikanische Außenpolitik sich so wenig um die Antipathien schert, die Amerika unleugbar entgegenschlagen - und die seit der Invasion im Irak und der Besatzung nur noch schlimmer geworden sind.
Wie die Amerikaner "WISSEN" die Israelis; sie wissen, was ihre Historiker gut dokumentiert haben: Die Enteignung der Palästinenser bildete die Grundlage ihres Staates. Zwischen 1947 und 1949 vertrieben die zionistischen Streitkräfte mehr als 75% der eingeborenen Bevölkerung; deren Land wurde zur exklusiven Nutzung durch die israelischen Juden bestimmt. 1967 wurden 35% der Bevölkerung des palästinensischen Gaza und des palästinensischen Westjordanlands vertrieben. Einige wurden so schon zum zweitenmal (innerhalb einer Generation) zu Flüchtlingen.
Für Palästinenser wie Israelis ist die Kolonialvergangenheit noch Gegenwart.
Seit 1967 erfahren 3,3 Millionen Palästinenser in den Besetzten Gebieten Tag für Tag die postmoderne Version des (amerikanischen Gründungsmythos) Manifest Destiny: 400 000 jüdische Siedler, die den israelischen Landraub fortsetzen - in der Zeit des Osloer "Friedens" waren es 200 000. Allein in den letzten vier Jahren konfiszierte Israel über 56 000 Acres** Palästinenserland, dazu vernichtete es 18 000 Acres** Ackerland und entwurzelte über 1,1 Millionen Bäume. Die Umgehungsstraßen nur für Israelis (insgesamt über 250 Meilen Straßennetz) und Hunderte von Checkpoints haben zu über 200 abgetrennten Palästinenserreservaten geführt. Und selbst wenn Israel Gaza evakuiert, der israelische Premier Scharon beharrt auf den Erhalt der (illegalen) jüdischen Großsiedlungen in der Westbank. Was Scharon vorhat, zeigt auch die demnächst fertiggestellte "Trennungs"-Mauer - eine Mauer, die weitere 15% der Westbank verschlingt und 600 000 Palästinenser in ein Freiluftgefängnis zwischen Mauer und Grüner Linie einzwängt.
Den nichtjüdischen Bürgern des Staates Israel ist es nicht erlaubt, auf "Staatsland" zu leben, es zu mieten oder zu kaufen. Dieses Land, exklusiv nur für Juden, macht jedoch 93% Israels aus. Das israelische Rückkehrrecht, das sogenannte Law of Return, erlaubt es jedem Juden und jeder Jüdin, egal, wo sein/ihr Geburtsland liegt, die Immigration nach Israel und gewährt ihm/ihr die Staatsbürgerschaft. Die aus dem Land stammenden Flüchtlinge jedoch dürfen nicht heimkehren.
Warum verstößt Israel weiter gegen internationales Recht? Damit der "jüdische" Charakter des Landes erhalten bleibt. Historisch gesehen eine nur allzu bekannte Antwort. Sie wird dadurch jedoch nicht weniger ethnozentristisch. Dennoch ist und war Israel stets ein multikulturelles Land - selbst innerhalb der Grenzen der Grünen Linie. Rund 28% der Bürger Israels sind keine Juden, darunter mindestens 20% Palästinenser.
Völker, die in der Vergangenheit kolonialisiert waren, stellen die große Mehrheit der heutigen Weltbevölkerung. Diese Menschen identifizieren sich mit der palästinensischen Sache, dem Unrecht, das den Palästinensern widerfährt. Daraus erwächst eine feindselige Haltung gegenüber den USA und Israel. Die Sicherheit sowohl der Amerikaner wie auch der Israelis ist gefährdet. Auf einer tiefen, tiefen psychologischen Ebene könnte man sagen, die Indianer Amerikas und die Palästinenser zeigen uns, dass Menschen an ihrem Land und an ihrer Heimat hängen und dass es sich rächt, wenn dies von Politikern geleugnet und ihr Anspruch partiell abgelehnt wird.
Reduziert
auf weniger als 1% indigener Bevölkerung
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Für Israel ist es nicht zu spät. Israel befindet sich noch nicht in dem chronischen Zustand, in dem sich die USA befinden - wo die indigene Bevölkerung auf weniger als 1% reduziert wurde (rund 1/3 dieser Indianer leben in den Reservaten, in die sie vor mehr als hundert Jahren verbannt wurden). In Israel leben 78% der jüdisch-israelischen Bevölkerung auf nur 15% des Landes. Es wäre also denkbar, dass palästinensische Flüchtlinge auf nahezu unbesiedeltes Land zurückkehren - ohne dass deshalb viele Israelis umgesiedelt werden müssten. Das Land teilen - eine Frage der Fairness und des internationalen Willens und nicht des Überlebens.
Die Kolonialisierung Amerikas durch die Europäer setzte, ebenso wie die Kolonialisierung Palästinas, auf dem Hintergrund eines imperialistischen Denkens ein, das seine Blüte im 19. Jahrhundert hatte. Jährlich erhält Israel von uns Hilfen, Waffen und politische Unterstützung im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Damit unterstützen wir eine koloniale Praxis, die aus dem 19. Jahrhundert stammt und für die sich sicher die meisten Amerikaner und Europäer des 21. Jahrhunderts schämen (wie sehr sie dies auch verdrängen mögen).
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, die koloniale Vergangenheit Amerikas, die Erniedrigung seiner nativen Völker ist nicht rückgängig zu machen. Was wir allerdings können, ist verhindern, dass die "ethnischen Säuberungen" heute in Palästina weitergehen - nicht in unserem Namen und nicht mit unserem Geld jedenfalls.
Dr. Justine McCabe ist Kulturanthropologin und Psychiaterin. Sie lebt in New Milford/USA
Anmerkung d. Übersetzerin: * BIA = Bureau of Indian Affairs (Indianerbüro), ** 1 Acre = circa 40,46 Ar
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