Dezember
2002
www.initiative.cc
"Herr
Präsident, Sie haben dem amerikanischen Volk nicht die Wahrheit gesagt
!"
(Warum sind die USA Ziel von Terrorangriffen)
Brief
des amerikanischen Bürgers Robert M. Bowman an Präsident Bush
|
(Dr. Robert Bowman leitete alle "Star Wars"-Programme unter
Präsident Ford und Präsident Carter. Er flog 101 Kampfeinsätze
in Vietnam. Er schrieb seine Doktorarbeit in Aeronautik und Nukleartechnologie
bei Caltech. Er ist Präsident des Instituts für Weltraum- und Sicherheitsstudien
und Vorsitzender Erzbischof der Vereinigten Katholischen Kirche. )
"Herr
Präsident, Sie haben dem amerikanischen Volk nicht die Wahrheit gesagt,
warum wir die Zielscheibe des Terrorismus sind. Sie sagten, wir seien die
Zielscheibe, weil wir für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in
der Welt stehen. So ein Unsinn! Wir sind das Ziel der Terroristen, weil wir
auf der Welt für Diktatur, Sklaverei und menschliche Ausbeutung stehen.
Wir sind die Zielscheibe der Terroristen, weil man uns hasst. Und man hasst
uns, weil unsere Regierung verabscheuenswürdige Dinge getan hat.
In wie vielen Ländern auf der Welt haben wir vom Volk gewählte
Führer abgesetzt und sie durch militärische Marionettendiktatoren
ersetzt, die bereit waren, ihr eigenes Volk an amerikanische multinationale
Konzerne zu verkaufen?
Wir machten das im Iran, als wir Mossadegh absetzten, weil er die Ölindustrie
verstaatlichen wollte. Wir ersetzten ihn durch den Schah, und wir bildeten
seine verhasste Savak-Nationalgarde aus, bewaffneten und bezahlten sie, so
dass sie dann das iranische Volk versklavte und schikanierte. All dies, um
die finanziellen Interessen unserer Ölgesellschaften zu sichern. Ist
es da verwunderlich, dass es Menschen im Iran gibt, die uns hassen?
Wir machten dasselbe in Chile, als wir Allende absetzten, der vom Volk demokratisch
gewählt worden war, um den Sozialismus einzuführen. Wir ersetzten
ihn durch General Pinochet, einen brutalen, rechtsgerichteten Militärdiktator.
Chile hat sich davon bis heute nicht erholt.
Wir taten dies in Vietnam, als wir im Süden demokratische Wahlen vereitelten,
die das Land unter Ho Chi Minh vereinigt hätten. Wir ersetzten ihn durch
eine ganze Reihe ineffizienter Marionettengauner, die uns aufforderten, in
ihr Land zu kommen und ihr Volk abzuschlachten - was wir auch taten. (Ich
flog 101 Kampfeinsätze in diesem Krieg.)
Wir machten dasselbe im Irak, wo wir eine Viertelmillion Zivilisten umbrachten
in einem misslungenen Versuch, Saddam Hussein zu stürzen, und wo wir
seitdem mit unseren Sanktionen noch eine weitere Million Menschen umgebracht
haben. Ungefähr die Hälfte dieser unschuldigen Opfer sind Kinder
unter fünf Jahren gewesen. Und natürlich, wie oft haben wir das
in Nicaragua getan und in all den anderen "Bananenrepubliken" Lateinamerikas?
Immer wieder haben wir Volksführer gestürzt, die wollten, dass der
Reichtum des Bodens mit den Menschen geteilt wird, die ihn bearbeiten.
Wir ersetzten sie durch mörderische Tyrannen, die ihr eigenes Volk verraten
und kontrollieren würden, damit der Reichtum des Landes von Domino Sugar,
der United Fruit Company, Folgers und Chiquita Banana herausgeholt wird.
In einem Land nach dem anderen hat unsere Regierung die Demokratie vereitelt,
die Freiheit erstickt und die Menschenrechte mit Füssen getreten. Das
ist der Grund, warum wir überall auf der Welt verhasst sind. Und das
ist auch der Grund, warum wir Zielscheibe der Terroristen sind.
Die Menschen in Kanada geniessen mehr Demokratie, mehr Freiheit und mehr Menschenrechte
als wir. Und genauso tun es die Menschen in Schweden und in Norwegen. Oder
haben Sie schon einmal davon gehört, dass eine kanadische Botschaft bombardiert
wurde? Oder eine norwegische Botschaft? Oder eine schwedische? Nein.
Wir werden nicht deshalb gehasst, weil wir Demokratie, Freiheit und
Menschenrechte anwenden. Wir werden gehasst, weil unsere Regierung diese Dinge
den Menschen in Ländern der dritten Welt vorenthält, deren Bodenschätze
von unseren multinationalen Konzerne begehrt werden. Und der von uns
gesäte Hass fällt nun auf uns zurück und verfolgt uns in Form
des Terrorismus - und zukünftig auch in Form des nuklearen Terrorismus.
Anstatt unsere Söhne und Töchter überallhin zu schicken, um
Araber umzubringen, damit die Ölgesellschaften das Öl verkaufen
können, müssten wir sie eigentlich dorthin schicken, um die Infrastruktur
aufzubauen, sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen und hungernde Kinder
zu ernähren.
Anstatt danach zu streben, der Herrscher über die Welt zu sein, müssten
wir ein verantwortungsbewusstes Mitglied der Familie der Nationen werden.
Anstatt Hunderttausende von Soldaten auf dem ganzen Erdball zu stationieren,
damit sie die finanziellen Interessen unserer multinationalen Konzerne beschützen,
müssten wir sie nach Hause bringen und unser Friedenskorps ausbauen.
Anstatt Terroristen- und Todesschwadronen auf Folter- und Mordtechniken zu
trainieren, müssten wir die School of the Americas schliessen (egal,
welchen Namen sie benutzen)[Armeeschule in Ford Benning, Georgia, in der jährlich
Hunderte von Soldaten aus Lateinamerika ausgebildet werden; nachweislich sind
viele Menschenrechtsverletzungen in Süd- und Mittelamerika von früheren
Absolventen begangen worden. Die Schule wurde 2000 unbenannt in The Western
Hemisphere Institute for Security Cooperation.]. Anstatt Militärdiktaturen
zu unterstützen, müssten wir echte Demokratien unterstützen
- das Recht der Völker, ihre eigenen Führer zu wählen. Anstatt
Aufstände, Destabilisierung, Mord und Terror überall auf der Welt
zu unterstützen, müssten wir die CIA abschaffen und das Geld Hilfsorganisationen
zukommen lassen. Kurz gesagt, vollbringen wir wieder Gutes anstatt Böses.
Wir werden wieder zu guten Menschen. Dann würde auch die Bedrohung durch
den Terror verschwinden. Das ist die Wahrheit, Herr Präsident. Das ist
es, was das amerikanische Volk hören müsste. Wir sind gute Menschen.
Man muss uns nur die Wahrheit erzählen und uns eine Vision geben. Sie
können das tun, Herr Präsident. Stoppen Sie das Töten. Stoppen
Sie das Rechtfertigen des Tötens. Stoppen Sie die Vergeltungsschläge.
Stellen Sie die Menschen an die erste Stelle. Sagen Sie ihnen die Wahrheit.
Es ist überflüssig zu sagen, "er hat nicht ... ", und
George W. Bush hat es auch nicht getan. Die Samen, die unsere politischen
Strategien gesät haben, haben bittere Früchte hervorgebracht. Das
World Trade Center ist nicht mehr da. Das Pentagon ist beschädigt. Und
Tausende von Amerikanern sind tot. Fast jeder Journalist schreit nach einem
massiven militärischen Vergeltungsschlag gegen jeden, der die Tat begangen
haben könnte (es wird angenommen Usama bin Ladin) und gegen jeden, der
den Terroristen (besonders den Anhängern der Taliban-Regierung von Afghanistan)
Unterschlupf gewährt oder ihnen hilft. Steve Dunleavy von der "New
York Post" schreit: "Tötet die Mistkerle! Bildet Mörder
aus, stellt Söldner an, stellt ein paar Millionen Dollar zur Verfügung
für Kopfgeldjäger, um sie tot oder lebend zu bekommen, am besten
tot. Was die Städte oder die Länder angeht, die diese Würmer
bei sich aufnehmen - walzt sie einfach platt."
Es ist verlockend, dem zuzustimmen. Ich hege keine Sympathie für die
Psychopathen, die Tausende unserer Leute getötet haben. Solche Taten
können nicht entschuldigt werden. Wenn man mich zum Aktivdienst zurückrufen
würde, würde ich hingehen, ohne zu zögern. Gleichzeitig sagt
mir aber all meine militärische Erfahrung und mein Wissen, dass in der
Vergangenheit Vergeltungsschläge die Probleme nicht gelöst haben,
und sie werden es auch diesmal nicht lösen.
Der bei weitem beste Antiterror-Apparat ist der von Israel. Aus militärischer
Sicht ist er unglaublich erfolgreich. Trotzdem leidet Israel unter mehr Anschlägen
als alle anderen Nationen zusammengenommen. Wenn Gegenschläge funktionieren
würden, wären die Israeli das sicherste Volk auf der Welt.
Terroranschläge konnten jeweils nur auf eine Weise beendet werden: man
muss die Unterstützung der Terrororganisationen durch die grössere
Gemeinschaft, die sie repräsentieren, unterbinden. Und der einzige gangbare
Weg ist, dass man sich die berechtigten Klagen der Menschen anhört und
versucht, ihre Beschwerden zu lindern. Wenn tatsächlich Usama bin Ladin
hinter den vier Flugzeugentführungen und dem anschliessenden Gemetzel
steckt, bedeutet das, dass man die Sorgen der Araber und der Muslime im allgemeinen
ansprechen muss, und die der Palästinenser im besonderen. Es bedeutet
nicht, dass man Israel aufgibt. Es könnte aber sehr wohl bedeuten, dass
man ihnen die finanzielle und militärische Unterstützung entzieht,
bis sie mit der Besiedlung der besetzten Gebiete aufhören und zu den
Grenzen von 1967 zurückkehren.
Es könnte auch bedeuten, dass man zulässt, dass die arabischen Länder
ihre politischen Führer selbst wählen, und nicht von handverlesenen,
von der CIA eingesetzten Diktatoren regiert werden, die willfährig mit
westlichen Ölgesellschaften kooperieren.
Chester Gillings hat es sehr treffend gesagt: "Wie schlagen wir
gegen bin Ladin zurück? Als erstes müssen wir uns fragen, was wir
zu erreichen hoffen: Sicherheit oder Rache? Diese beiden schliessen
sich gegenseitig aus: Wenn wir Rache nehmen, werden wir ganz bestimmt unsere
Sicherheit verringern. Wenn wir nach Sicherheit streben, dann müssen
wir beginnen, auch die schwierigen Fragen zu beantworten: Welche Beschwerden
bringen die Palästinenser und die arabische Welt gegen die Vereinigten
Staaten vor, und worin besteht unsere wirkliche Schuld an diesem Unrecht?
Da, wo wir berechtigte Schuld tragen, müssen wir auch bereit sein, die
Missstände soweit wie möglich zu beheben. Da, wo wir keine Schuld
oder Heilung sehen, müssen wir unsere Standpunkte den Arabern ehrlich
und aufrichtig mitteilen. Kurz gesagt, ist unsere beste Vorgehensweise, uns
aus den Disputen der Region zurückzuziehen und nicht mitzukämpfen."
Bin Laden jetzt zu töten, würde aus ihm einen ewigen Märtyrer
machen. Tausende würden sich erheben, um seinen Platz einzunehmen. Wir
würden es in einem anderen Jahr mit weiteren Terroranschlägen zu
tun bekommen, und wahrscheinlich mit viel schlimmeren als dem 11. September.
Es gibt aber noch einen anderen Weg. Kurzfristig müssen wir uns vor denjenigen
schützen, die uns bereits hassen. Das bedeutet verstärkte Sicherheitsmassnahmen
und bessere Nachrichtendienste. Im März schlug ich Kongressmitgliedern
vor, dass wir jegliche Mittel für "Star Wars" verweigern sollten,
bis die Regierung und die Verwaltung zeigen könne, dass sie alle möglichen
Nachforschungen anstellen, um Massenvernichtungswaffen, die heimlich in unser
Land gebracht werden (eine wesentlich grössere Bedrohung als Interkontinentalraketen),
aufzuspüren und abzufangen. Es können viele Schritte unternommen
werden, um unsere Sicherheit zu erhöhen, ohne dabei die Bürgerrechte
einzuschränken.
Längerfristig müssen wir jedoch unsere Politik ändern,
um zu verhindern, dass wir Furcht und Hass hervorrufen, die neue Terroristen
hervorbringen. Wenn wir vom ausländischen Öl unabhängig
werden - durch Aufbewahrung, durch einen effizienten Umgang mit Energie, durch
Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen und indem wir zu einem umweltverträglichen
Transport übergehen -, werden wir in der Lage sein, eine vernünftigere
Nahostpolitik zu betreiben.
Die grosse Mehrheit der Araber und Muslime sind gute, friedfertige Menschen.
Aber eine genügend grosse Zahl von ihnen haben sich, aus Verzweiflung,
Wut und Angst, zuerst Arafat zugewendet und sich jetzt bin Ladin angeschlossen,
um ihr Elend zu lindern. Herr Präsident, beseitigen Sie die Verzweiflung,
geben Sie ihnen etwas Hoffnung, und die Unterstützung für den Terrorismus
wird sich in Luft auflösen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, wird sich
bin Ladin dazu gezwungen sehen, den Terrorismus aufzugeben - so wie es auch
Arafat getan hat - , oder er wird wie ein gewöhnlicher Krimineller behandelt
werden. In beiden Fällen werden er und sein Geld keine Bedrohung mehr
darstellen. Wir können Sicherheit haben
oder Rache. Beides können
wir nicht haben.
Wir sollten gut sein anstatt schlecht. Und wenn wir es wären, wer könnte
dann gegen uns sein? Wer würde uns hassen? Wer wollte uns bombardieren?
Das ist die Wahrheit, Herr Präsident. Das ist es, was das nordamerikanische
Volk hören sollte."
Artikel 4:
Zeit-Fragen Nr.43 vom 21. 10. 2002, letzte Änderung am 22. 10. 2002
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